Hafenchef Rotterdam: „Die Infrastruktur am Kai verändert sich“

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Hafenchef Rotterdam: „Die Infrastruktur am Kai verändert sich“

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Nachhaltigkeit
23. August 2022

Allard Castelein, CEO des Hafens Rotterdam, über die Auswirkungen der Energiewende auf das Gesicht der Umschlagplätze.

DVZ: Herr Castelein, wenn man auf die Häfen in Europa schaut, bekommt man den Eindruck, dass der Trend zur Kooperation geht: Im Mai verkündeten Antwerpen und Zeebrügge ihren Zusammenschluss, in Norddeutschland wurde in den vergangenen zwei Jahren über eine Fusion der acht Containerterminals in Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven diskutiert. Bringt Sie das in Bedrängnis, ähnliche Wege zu gehen?

Allard Castelein: Nein. Aus unserer Sicht gibt es keinen Hafen, der in seiner Vielfalt, den unterschiedlichen Gütersegmenten und der Größe dem Hafen Rotterdam ähnelt und für uns für einen Zusammenschluss interessant wäre. Wir haben mehr Geschäft als jeder andere niederländische Hafen, daher würde eine Zusammenarbeit dieser Art nicht zu Synergien führen. 

Dennoch nutzen Sie beispielsweise seit 2015 ein gemeinsames Hafen-Management-System mit dem Hafen Amsterdam.

Das ist richtig. Eine Zusammenarbeit mit Häfen, die uns ähnlich sind und vergleichbare Umschlagentwicklungen haben, halte ich durchaus für sinnvoll. Wir wollen damit unsere Infrastruktur ausbauen und attraktiver für Kunden werden, damit diese ihr Geschäft nach Rotterdam bringen. 

Kürzlich haben die Hafenbetreiber HHLA aus Hamburg und Eurogate aus Bremen ihre Gespräche über den Zusammenschluss ihrer Containerterminals gestoppt. Wie beurteilen Sie das? 

Ich verfolge diese Entwicklung nur aus der Ferne. Meines Erachtens kann die Zusammenarbeit zwischen Terminals effzient sein, aber sie wird sich nur wenig auf das globale Handelsvolumen und unsere Aktivitäten in Rotterdam auswirken. 

Die Containerschiffe auf den Weltmeeren werden immer größer, Häfen könnten zusammenarbeiten, um Reedern entgegenzutreten. Was halten Sie davon? 

Ich bin mir nicht sicher, ob die Schiffe noch viel größer werden, um ehrlich zu sein. Rein aus physikalischer und technologischer Sicht ist es möglich. Aber es gibt Faktoren, die diese Entwicklung begrenzen: Das sind beispielsweise die Zugänglichkeit, die Gezeiten, die Stärke der Kaimauern im Hafen sowie Engpässe im Hinterland. Wenn wir der einzige Hafen sind, der Schiffe in dieser Größe aufnehmen kann, funktioniert das Geschäftsmodell nicht. 

Wir treffen unsere Entscheidungen nicht mehr auf Basis des Umschlagvolumens.

Mit der Energiekrise verändert sich das Geschäftsmodell von Häfen. Eine Studie prognostiziert für Hamburg, dass der Umschlag kaum mehr wachsen wird. Welche Faktoren und Kennzahlen sind für Sie relevant?

Wir treffen unsere Entscheidungen schon länger nicht mehr auf Basis des Umschlagvolumens. Für uns zählt die Wirkung auf die Gemeinschaft und die positive Rolle, die wir in der Gesellschaft haben, beispielsweise auf den Wohlstand und die Schaffung von Arbeitsplätzen für Menschen.

Wie verändert das die Rolle der Häfen?

Ich glaube, dass die Häfen unabhängig von aktuellen Entwicklungen immer als zentrale Drehscheibe für Konsumgüter und die Industrie relevant bleiben werden. Lediglich die Infrastrukturen am Kai verändern sich.

Inwiefern?

Wenn Sie durch den Hafen fahren, werden Sie kaum einen Unterschied feststellen, die Container werden aussehen wie immer. Aber die Technik wird sich verändern, Kreislaufwirtschaft wird entscheidend sein. Wir werden mehr Pipeline-Infrastrukturen sehen, und ich erwarte, dass verstärkt Landstrom für den Containersektor und die Kreuzfahrtschiffe nachgefragt wird. Man kann sich diese Entwicklung vorstellen wie bei einem Elektroauto: Es sieht immer noch aus wie ein Auto, aber unter der Motorhaube werden die Systeme emissionsfrei und grüner sein.

Elektroautos stehen in der Kritik. Einige Stimmen bescheinigen den Stromern eine schlechtere Emissionsbilanz als Autos mit Verbrennungsmotoren. Wie grün ist Ihr Umschlag an der Kaikante?

Im Moment schlagen wir noch Güter wie Kohle oder Öl um, das sind keine zukunftsträchtigen Energieträger. Das wird sich ändern. Wir arbeiten hart daran, die Kohlendioxidemissionen im Hafen zu reduzieren und den Weg hin zur Dekarbonisierung einzuschlagen. Künftig wird Elektrifizierung sowie die Produktion von grünem Wasserstoff im Hafen die Warenströme entscheidend beeinflussen.

Sie sehen den Energieträger Wasserstoff als Schlüssel in der Energiewende. Kürzlich haben Sie bekannt gegeben, dass der Konzern Shell 2025 Europas größten Elektrolyseur für grünen Wasserstoff in Betrieb nehmen wird. Wie sieht dafür die Wertschöpfungskette auf der Maasvlakte 2 aus?

Der Elektrolyseur wird mit grünem Strom angetrieben, der aus dem Offshore-Windpark Hollandse Kust in der Nordsee stammt. Pro Tag können dann 60.000 Kilogramm grüner Wasserstoff produziert werden. Der grüne Wasserstoff wird bald über die HyTransPort-Pipeline den Shell Energy and Chemicals Park Rotterdam versorgen. In der Raffinerie ersetzt es einen Teil des verwendeten grauen Wasserstoffs und macht die Herstellung von Energieprodukten wie Benzin, Diesel und Paraffin teilweise kohlenstofffrei.

Mit einer weiteren Pipeline könnte Wasserstoff bis nach Deutschland befördert werden. Die Pipeline „Delta Corridor“ soll Ihren Hafen mit dem Industriepark Chemelot (Limburg) und Nordrhein-Westfalen verbinden. Darüber hinaus haben Sie zehn weitere Projekte zur Energiewende entwickelt…

Die zehn Projekte sind nur ein Beispiel. Wir haben noch mehr Projekte entwickelt. Um den Hafen bis 2050 CO2-neutraler zu machen, braucht man ein großes Portfolio. Nur so können wir sicherstellen, dass wir im Bereich von neuen Energien, Kreislaufwirtschaft und Dekarbonisierung den größtmöglichen Nutzen erzielen.

Sie investieren in Kohlenstoffspeicherung, also die Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage –CCS) im Hafen. In Deutschland wurde die CCS-Technik vor rund zehn Jahren auf Eis gelegt. Naturschützer sahen unter anderem Gefahren für das Grundwasser. Inzwischen wird darüber wieder hitzig diskutiert. Was überzeugt Sie an der Technik?

Bei der Herstellung von Eisen, Stahl, Kalk oder Zement entstehen Emissionen, die in der Industrie nur schwer zu vermeiden sind. Die CCS-Technik ist essenziell, um eine Dekarbonisierung zu erreichen. Wir haben den Vorteil, dass unsere Offshore-Gasfelder inzwischen so gut ausgebaut sind, dass sie leicht in CO2-Speicheranlagen umgewandelt werden können. So können wir eine Kapazität von 10 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen.

Sie planen eine Importanlage, um das CO2 auch per Schiff zu transportieren. Welche Länder in Europa wollen Sie damit versorgen?

Wahrscheinlich den nördlichen Teil Frankreichs, Belgien, die gesamten Niederlande, Nordrhein-Westfalen, bis hin nach Süddeutschland. Wir wollen speziell Länder beliefern, die keinen Zugang zu CO2-Speichermöglichkeiten haben.

Gibt es dafür feste Partnerschaften?

In den Niederlanden arbeiten wir mit Shell, Air Products, ExxonMobil und Air Liquide Partner zusammen. Sie werden das CO2 abfangen und in das System einspeisen. Auch im Süden der Niederlande wurde Interesse bekundet, CO2 einzuspeisen. Zudem sind wir in Gesprächen mit privaten Unternehmen in Deutschland.

Woran sind die deutschen Unternehmen besonders interessiert?

Es besteht die Möglichkeit, dass CO2 aus Deutschland über dieselben Wasserstoff-Pipelines des Deltakorridors zurück nach Rotterdam transportiert werden kann.

Die Stadt Rotterdam beschäftigt sich seit einigen Jahren damit, „klimaresilient“ zu werden. Der Hafen liegt zum großen Teil außerhalb des Hochwasserschutzsystems. Wie sind Sie auf steigende Pegel und Wetterextreme vorbereitet?

Ein wichtiges Thema. Die Gefahr für Überschwemmungen im Rotterdamer Hafen wird in den kommenden Jahrzehnten zunehmen. Doch ich halte uns für widerstandsfähig, wir sind ein hochwassersicherer Hafen. Teilweise schützen uns Sturmflutwehre vor Überschwemmungen, dennoch werden wir die Schutzmaßnahmen und unsere Widerstandsfähigkeit weiter ausbauen.

Wie sieht das aus?

Wir analysieren verschiedene Szenarien des Klimawandels und erarbeiten dann gemeinsam mit der Stadtverwaltung Rotterdam weitere Maßnahmen.

Die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Hafen kann schwierig sein, da der Konflikt Hafen versus Stadt erneut aufflammt: Die Stadt Rotterdam sucht mehr Flächen für die Bebauung, um Platz zum Wohnen für die Menschen zu schaffen, im Hafen herrscht Flächenmangel. Welche Lösungen sehen Sie?

Wir haben mit der Stadtverwaltung eine solide Vereinbarung darüber getroffen, welche Teile der Häfen als Hafengebiet verbleiben und welche Bereiche als Wohngebiet dienen. Man darf nicht vergessen, dass der Hafen einen großen wirtschaftlichen Mehrwert für die Stadt schafft. Wir stellen 565.000 Arbeitsplätze, es besteht die Möglichkeit der Koexistenz.

Der Hafenmanager

Allard Castelein ist seit 2014 General­direktor (CEO) des Hafenbetriebs Rotterdam. Seine Amtszeit läuft bis 2023. Der Manager, Jahrgang 1958, kam von ­Royal Dutch Shell zum Rotterdamer Hafen. Bei dem Konzern hatte er die Position des Vice President Environment inne. Er arbeitete seit 1987 für den Öl-Multi und war unter anderem im Mittleren und Fernen Osten tätig.

Der Hafen als Wirtschaftsmotor der Stadt ist eine Seite der Medaille. Dem gegenüber stehen Luftverschmutzung, verstopfte Straßen oder fehlende ländliche Flächen, die Menschen benötigen. Ist eine Koexistenz auch in zehn Jahren noch möglich?

Daran habe ich keinen Zweifel. Wir arbeiten stets daran, den Kohlendioxidausstoß zu verringern, den Lärm zu reduzieren und jegliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Menschen zu vermeiden.

Bei den Menschen, die in Häfen arbeiten, wächst dagegen das Unbehagen. Im Juli legten Arbeiter in den Häfen an der Westküste der USA ihre Jobs nieder, um neue Tarife zu verhandeln, Mitte August streikten die Hafenarbeiter im britischen Hafen Felixstowe und auch in den Nordseehäfen finden die Hafenarbeiter seit Wochen keine Einigung mit dem Arbeitgeber. Wie ist die Situation in Rotterdam?

Wir haben keinen Grund zur Sorge, dass uns ein Streik bevorsteht. Die Löhne sind gut und durchaus wettbewerbsfähig. Wir erleben, dass Hafenarbeiter hier gerne zur Arbeit kommen. Sie machen harte Arbeit, aber werden gut bezahlt und wertschätzen ihren Alltag.

Ihre Amtszeit endet nächstes Jahr, was sind Ihre weiteren Pläne?

Zunächst werde ich meine volle Kraft in diese Amtszeit stecken. Ich werde weiter die Themen vorantreiben, die mir am Herzen liegen: Klimaschutz und Energiewende. Und ich hoffe, dass ich weiterhin die Möglichkeit haben werde, diese Entwicklung aktiv zu gestalten.

Erschienen in der DVZ, Deutsche Verkehrs-Zeitung, 23. August 2022

Autor:in Friederike Hoppe
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